Die Idee
Im Frühjahr des Jahres 2018 entstand bei einem Treffen von Dr. Gottfried Lorenz, Wolfgang Krömer, Dr. Heiko Gerlach und Martin Eichenlaub die Idee zu einem Gedenkort in Hamburg für Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen und geschlechtlichen Identität verfolgt wurden.
Hintergrund war die Feststellung, dass andere Städte wie Frankfurt am Main, München, Berlin und Köln bereits seit langem ein innerstädtisches Mahnmal für jene Opfer haben, und in Düsseldorf die Planung eines solchen Gedenkorts weit fortgeschritten ist. All diesen Mahnmalen ist gemeinsam, dass sie an Opfer des Nationalsozialismus erinnern, nicht jedoch an Opfer anderer Zeiten und anderer Kontexte, dass diese sich auf Homosexuelle, meist schwule Opfer beziehen, nicht aber auch das Leid von Lesben, Bisexuellen, Trans*menschen und intergeschlechtliche sowie queerer Menschen thematisieren, und dass diese ortsgebunden der Opfer gedenken, aber Verfolgung in anderen Städten und Ländern sowie alltägliche Diskriminierung, Gewalt und Ausgrenzung im Alltag aufgrund sexueller und geschlechtlicher Identität unberücksichtigt lassen.
Die in Deutschland bestehenden Mahnmale haben jedoch auch gemeinsam, dass sie Orte des Gedenkens und des Erinnerns sind, Denkanstöße geben, mit der Frage konfrontieren, was Hintergründe für die Diskriminierung, Ausgrenzung und Verfolgung von Minderheiten sind, und auch für die Zukunft mahnen. In jedem Fall sind die Mahnmale nicht nur Gedenkorte, sondern auch Versammlungsorte. So finden beispielsweise in anderen Städten an diesen Mahnmalen zum Christopher Street Day Gedenkveranstaltungen mit Blumenniederlegungen statt.
Es ist klar, dass die bestehenden Mahnmale diese Opfer nicht mehr lebendig machen oder entschädigen können. Doch durch die Mahnmale wird gesellschaftlich anerkannt, dass die Verfolgung von Lesben und Schwulen aufgrund der sexuellen Orientierung in der NS-Zeit Unrecht war. Sie zeugen von dem Respekt gegenüber den Opfern. Diese Denkmale wollen sagen: Wir haben Euer Leid nicht vergessen, wir erinnern uns. Gerade weil wir die Verfolgung von Lesben und Schwulen in der NS-Zeit nicht rückgängig machen können, möchten wir mit der Erinnerung an Euer zu Unrecht erlittenen Leids Euch den Respekt und die Würde zurückgeben, die Euch damals genommen wurde. Denkmale sind also auch eine Rehabilitierung der Opfer.
In Hamburg aber hat sich in dieser Hinsicht bisher wenig getan. Bisher gibt es keinen öffentlichen Ort in Hamburg, an dem an Lesben und Schwule und darüber hinaus auch an das Unrecht gegenüber weiteren sexuellen Minderheiten erinnert, gemahnt und gedacht wird. Dabei gehört Hamburg zu den Städten Deutschlands, die in der LSBTIQ*-Bewegung führend waren und sind. Ihre Geschichte ist in den letzten 25 Jahren gut dokumentiert und aufgearbeitet worden. Der Hamburger CSD gehört in seiner Vielfalt zu den größten Veranstaltungen dieser Art in Europa. Und Hamburg ist seit dem 28. Juli 2016 Rainbow-City.
Als die Idee zu einem Gedenkort in Hamburg für Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen und geschlechtlichen Identität verfolgt wurden, aufkam, stand der Hamburger CSD mit seinem Motto „Freie Bahn für Genderwahn“ bevor. Das CSD-Motto nahm Anspielung auf politische Strömungen, die sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten das gleichberechtigte Sein absprechen, der rechtlichen Gleichstellung von nicht-heterosexuellen Lebenspartnerschaften entgegenzuwirken versuchen, welche die Thematisierung von nicht-heterosexuellen Lebenskonzepten im Schulunterricht untersagen wollen und die freie und selbstbestimmte Entwicklung der sexuellen und geschlechtlichen Identität, welche elementarer Bestandteil der Persönlichkeit ist, unterbinden wollen. Die in unterschiedlichen Kontexten zu beobachtende Abkehr von der „politischen Korrektness“ im Sprachgebrauch einiger Politiker und Meinungsbildner („Das wird man wohl noch sagen dürfen“) zeugt von einer zunehmenden Desensibilisierung gegenüber dem Respekt von Minderheiten, verbunden mit der Gefahr, dass es wieder „gesellschaftsfähig“ wird, sexuelle und geschlechtliche Minderheiten zu diskriminieren. Dieser gefährlichen Entwicklung, welche den Nährboden für eine erneute Ausgrenzung und Verfolgung sexueller Minderheiten legt, ein gesellschaftliches Zeichen entgegen zu setzen, förderte letztlich die Entwicklung der Idee für ein Denkmal für sexuelle Vielfalt.
Bei der Entwicklung der Idee zu einem Denkmal für Hamburg war Konsens, dass ein Mahnmal allein für homosexuelle Opfer des Nationalsozialismus zu kurz greift. Das Projekt soll nicht eine einzelne sexuelle Minderheit, sondern die sexuelle und geschlechtliche Vielfalt („Diversity“) der Gesellschaft und der LSBTIQ*- Community in den Fokus stellen. Das Mahnmal soll symbolisch an die Lebens- und Leidenswege von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans*menschen und intergeschlechtlichen Menschen und allen Menschen erinnern, die aufgrund ihrer sexuellen und geschlechtlichen Identität von gesellschaftlicher Stigmatisierung und Diskriminierung und teils von staatlicher Verfolgung geprägt waren bzw. sind. So wurden beispielsweise lesbische Frauen und schwule Männer in der Nachkriegszeit gesellschaftlich stigmatisiert und diskriminiert. Schwule wurden darüber hinaus aufgrund des Paragrafen 175 StGB zwischen 1872 und 1994 strafrechtlich verfolgt und erst im Jahr 2017 vom Deutschen Bundestag rehabilitiert. Eine Aufarbeitung der Leidensgeschichten von lesbischen Müttern, deren Sorgerecht entzogen wurde, von intergeschlechtlichen Menschen, die zwangsoperiert wurden und von Trans*menschen, die Ausgrenzungen erfuhren, steht immer noch aus. Ablehnungs- und Ausgrenzungserfahrungen sind bei vielen von ihnen verinnerlicht und wirken in unterschiedlicher Weise ein Leben lang fort. So führ(t)en diese Erfahrungen und der sog. Minderheitenstress bei vielen von ihnen zu dauerhaften Gesundheitsgefährdungen, zum sozialen Rückzug und teils zur Existenzbedrohung, Suizid oder Ermordung. Das angestrebte Denkmal soll einerseits eine gesellschaftliche Anerkennung des vergangenen Leids und Unrechts gegenüber Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans*menschen und intergeschlechtlichen Menschen anmahnen. Gleichzeitig sollen diese symbolisch rehabilitiert werden und dadurch für die Zukunft ein gesellschaftliches Zeichen gesetzt werden.
Die bereits bestehenden Mahnmale richten den Blick auf die Opfer. Sie würdigen jedoch nicht auch den Einsatz vieler, die sich für sexuelle Gleichberechtigung und Anerkennung unterschiedlicher sexueller Orientierungen und Identitäten eingesetzt haben und einsetzen.
Bei der Entwicklung der Idee bestand Einvernehmen, dass das Mahnmal an alle Menschen erinnern soll, die wegen ihrer sexuellen Orientierung und Identität verfolgt wurden, und auch heute noch diskriminiert werden. Das Mahnmal soll auch Akzeptanz gegenüber der Vielfalt unterschiedlicher sexueller Empfindungen einfordern; eine Forderung, die für Respekt gegenüber Minderheiten steht und menschlich geboten ist.
Die Initiative
Die Initiative Denk-mal sexuelle Vielfalt verfolgt das Ziel, in der Freien und Hansestadt Hamburg ein Denkmal zu errichten, das die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt einfordert. Es soll ein Denkmal werden, das an die Verfolgung von Menschen aufgrund der sexuellen und geschlechtlichen Identität in der Vergangenheit erinnert, das Streben nach Gleichberechtigung und Akzeptanz in der Gegenwart würdigt, aber auch sexuelle und geschlechtliche Vielfalt als Zukunftsziel anmahnt.
Die Initiative wird gestaltet von Menschen, die sich für dieses Ziel einsetzen. Mitmachen und unterstützen kann jede Person. Die Initiative läd alle ein, an dem Projekt aktiv mitzuwirken und aktiv oder finanziell zu unterstützen. Die Initiative ist bislang nicht als Verein organisiert.
Das Projekt
In den bisherigen Diskussionen fiel die Entscheidung, für das Projekt zur Einrichtung eines Gedenkortes in Hamburg dem Begriff „Denkmal“ gegenüber dem Wort „Mahnmal“ den Vorzug zu geben. Grund ist, dass das Wort „Mahnmal“ durch die Wortnähe „mahnen“ negativ konnektiert sein kann, und nicht allein gemahnt, sondern auch zum Gedenken und Nachdenken durch einen solchen Gedenkort angeregt werden soll. Der Bindestrich im Wort „Denk-mal“ soll dies hervorheben.
Vorläufig fiel die Entscheidung, das Projekt als Initiative statt eines eingetragenen Vereins zu verwirklichen. Hintergründe liegen in den Hürden des Vereinswesens, wenngleich auch stichhaltige Argumente für die Gründung eines eingetragenen Vereins sprechen.
Die Mitwirkenden der Initiative vertreten die Einschätzung, dass die Verwirklichung des Projektes ohne die Mitwirkung der Politik nicht möglich ist, weshalb die politischen Entscheidungsträger und Meinungsbildner in die Diskussion zur Verwirklichung eines Gedenkortes einbezogen werden.
Die Schaffung eines Denkmals, das für sexuelle Vielfalt steht und somit auf unterschiedliche sexuelle und geschlechtliche Identitäten Bezug nimmt, lebt von der Mitwirkung und Sichtweise von Menschen, die ihre Erlebnisse und Lebenswelten in das Projekt einbringen und dies unterstützten. Die Initiative freut sich über alle, die an der Schaffung eines innerstädtischen Denkmals sexueller Vielfalt mitwirken.