Luftschlange: Community hat auf Nichterfüllung der Kriterien hingewiesen

Steve Behrmann, Psychosoziale Beratung LSBT* im Magnus-Hirschfeld-Centrum, Hamburg

Der Entwurf von Franziska Opel und Hannah Rath „Für Capri und Roxi“ verweist auf das Hamburger Tanzverbot schwuler Männer in den Freundschaftslokalen der 60er Jahre. Eine übergroße liegende Luftschlange soll „als Zukunftssymbol für Party, gute Laune und Freiheit für alle“ (NDRkultur) fungieren. Die beim Vorbeigehen changierenden Farben in Blau und Lila sollen auf einen möglichen fließenden Übergang „wie bei den Geschlechtern oder der geschlechtlichen Identitätsfindung“ (Franziska Opel) verweisen.
Was bedeutet das also für die Anforderungen an einen Denk-Ort für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt? Der die Aufgabenstellung des Ausschreibungstextes ist da sehr deutlich, mit dem Entwurf soll „ein Raum geschaffen werden, der für Akzeptanz und Wertschätzung der Vielfalt der LSBTIQ* Community steht. “Eine Skulptur, die thematisch das Tanzverbot für schwule Männer aufgreift, grenzt lesbische Frauen, bisexuelle, transgender*, inter*und queere Menschen aus und macht sie damit unsichtbar! Und was ist mit „Menschen die außerhalb der Geschlechterdichotomie und jenseits einer Endo- und Cis- Normativität“ positionieren und die dadurch genauso marginalisiert werden? Ebenso soll selbstbewusst deutlich werden, „dass Hamburg auch in Zukunft für Respekt und Anerkennung von Vielfalt steht“. Wie soll das gehen, wenn es um das Gedenken an das Tanzverbot für schwule Männer geht? Auch gilt es, bei „der Konzeptentwicklung…die durch die Hamburger LSBTIQ*-Communitys abgestimmte Aufgabenstellung zum zukünftigen Denk-Ort zu berücksichtigen.“ Und das ist nicht geschehen! Die Sachverständigengruppe aus der queeren Community hat bei der Sichtung der eingereichten Entwürfe nach sachkundiger Einschätzung auf die Nichterfüllung der Kriterien bei dem Entwurf von „Für Capri und Roxi“ hingewiesen. Vom Wettbewerbsmanagement sollten diese wichtigen Gründe an das Sach- und Fachpreisgericht weitergegeben werden.
Was ist passiert? Das Sach- und Fachpreisgericht hat sich unter Missachtung der inhaltlichen Aufgabenstellung und der Aufgabenstellung der beteiligten Communities für eine Luftschlange entschieden! Eine Luftschlange, die als Zukunftssymbol für Party, gute Laune und Freiheit für alle ausdrücken soll. Eine Freiheit der queeren Minderheit, die bei aller Verfolgung, Gewalt, Diskriminierung und Ausgrenzung seit Stonewall in 1969 jahrzehntelang hart erkämpft wurde, wird mit Party und gute Laune konnotiert? Frei nach dem Hamburger Justizsenator der 2005 anlässlich des CSD (Christopher Street Day) als „ein gesellschaftliches Ereignis wie das Alstervergnügen“ (Rosenkranz/Lorenz) tituliert hat? Im Ernst? Wo ist die Konnotation zu erkämpften Menschenrechten und erstrittener Gleichstellung? Eine Party-Schlange die unter Nicht-Berücksichtigung von geschlechtsbezogener Hasskriminalität, tief verankerten nationalen wie internationalen Homo- und Trans-negativität der heutigen Tage und des konservativen gesellschaftlichen Roll-backs für einen denk-Ort für sexuelle und gesellschaftliche Vielfalt stehen soll? Ist dies das Bild, das queere Menschen immer noch zugeschrieben bekommen, als bunt, schrill und extrovertiert, als Partyvolk in Feierlaune? Und will Hamburg als weltoffene Stadt, als das Tor zur Welt und als Mitbegründerin des Rainbow Cities Network dieses vorurteilsvolle Bild ausstrahlen?
Als Teil der queeren Community hätte ich mir gewünscht, dass das Jury-Ergebnis für den 1. Preis auf der Grundlage selbstkritischer Auseinandersetzung und mit einem Mindestmaß an Gespür für die Situation von stigmatisierten Minderheiten getroffen worden wäre. Ich bin unheimlich dankbar, dass sich die Behörde für Kultur und Medien seiner Verantwortung gerecht wird und sich für die Einhaltung der inhaltlichen Aufgabenstellung eingesetzt hat. Auch die Idee des Sach- und Fachpreisgerichts, wie zu lesen war, den Künstlerinnen Opel/Rath vorzuschlagen, den Titel des Entwurfs umzubenennen, damit er „passt“, hätte die Luftschlange inhaltlich nicht „passender“ gemacht.
Der „Pavillon der Stimmen“ der von der Sach- und Fachpreisgerichts mit 0 Gegenstimmen gewählt wurde, signalisiert mit dem im Kreis angeordneten Farbspektrum die Sichtbarkeit von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt. Mit der 13 Meter hohen Lichtquelle symbolisiert sie die Lichtbrechung wie durch ein Prisma die Vielfältigkeit von sexuellen Orientierungen und Geschlechtsidentitäten. Queere Menschen können sich mit den dekonstruierten Pride Flaggen, die in ihre Einzelfarben neu in einem Ring angeordnet sind, identifizieren und zuordnen und ermöglicht künftige neue (Geschlechter-) Konstruktionen. Durch die Audio-Installation können queere Statements aus Vergangenheit, Gegenwart und für die Zukunft hinterlassen werden. Außerdem kann sich die Community unter dem Farb-Ring zu aktuellen, feierlichen oder politischen (wie der CSD) Anlässen versammeln. Bei allem Verständnis, dass, wie es aus den Instagram-Kommentaren herauszulesen ist, die Jury lieber weibliche, lokale Künstlerinnen mit einem lokalen Hamburg-bezug statt einen Entwurf von einem männlicher Künstler mit hundert Angestellten unterstützt, entsprach nicht der Aufgabenstellung! Und die Beteiligung der seit 2018 beteiligten Hamburger queer Community als „cis white dude community“ zu diffamieren bleibt an dieser Stelle unkommentiert.
Der Pavillon ist zwar nicht das „Maß aller Dinge“, aber der Entwurf entspricht der inhaltlichen Aufgabenstellung und der Community-Aufgabenstellung der UND, was absolut wichtig ist, der Entwurf ist inklusiv, er repräsentiert alle Menschen die sich dem queeren Spektrum zuordnen und symbolisiert gesellschaftliche Solidarität und Allyship!

Steve Behrmann, Psychosoziale Beratung LSBT* im Magnus-Hirschfeld-Centrum, Hamburg