Die Queer Community in Hamburg bekommt einen Denk-Ort mit Pride Skulptur an der Binnenalster (Esplanade/Neuer Jungfernstieg, siehe Grafik). Der Entwurf ist von Sebastian Behmann und Ólafur Elíasson und heißt „Pavillon der Stimmen“, weil auch eine Klanginstallation dazu gehört. – Im künstlerischen Wettbewerb war dies der 2. Preis. Deswegen gibt es bei einigen Menschen aus der Hamburger Kunstszene Verstimmungen. Sie hätten gern gesehen, dass der 1. Preis realisiert wird. – In diesem Beitrag werden diese Argumente aufgegriffen und besprochen. – Die Queer Community ist übrigens zu 100 Prozent für die Pride Skulptur von Sebastian Behmann und Ólafur Elíasson. – Argumente und Gegenargumente wurden ausführlich in einem Gespräch bei Pink Channel diskutiert.
Warum wird der zweite Preis realisiert?
Der Behörde für Kultur und Medien, die den Prozess begleitet, war es von Anfang an wichtig, die gesamte LSBTIQ+-Community in die Entscheidungen einzubeziehen. Welchen Sinn hätte auch eine künstlerische Gestaltung eines Ortes ohne die Akzeptanz derjenigen, um die es bei dem Ort geht? Daher wurde auch die Community gefragt, mit welcher der beiden vom Preisgericht ausgezeichneten Entwürfe sie sich identifizieren kann. Und das ist der „Pavillon der Stimmen“.
Welche Gründe waren für die Community entscheidend?
Im Farbkreis sind die Farben der queeren Community vertreten – daher können sich auch alle damit identifizieren. Die Vielfalt der Farben mit hoher Symbolkraft steht für die sexuelle und geschlechtliche Vielfalt. Der Pavillon der Stimmen erfüllt zudem am ehesten die Forderungen, die von der Community im Ausschreibungstext formuliert wurden: Hier kann man sich versammeln. Die Audioinstallation bietet einen einfachen Zugang zu Inhalten der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Unterschiedliche Veranstaltungen können hier stattfinden und den Ort beleben. Und – sehr wichtig – im Gegensatz zur Luftschlange, die auf eine eigentlich schwule Thematik der Vergangenheit verweist, fühlt sich beim Pavillon der Stimmen niemand ausgeschlossen.
War das Urteil der Queer Community eindeutig?
Beim Denk-Ort-Dialog am 1.8.2024 hat sich die vielfältige, Hamburger queere Community zusammengefunden und sich für den prämierten künstlerischen Entwurf „Pavillon der Stimmen“ von Sebastian Behmann und Ólafur Elíasson ausgesprochen, und zwar einstimmig. Ein starkes Votum, das eindeutiger nicht geht.
Wie wurden denn die Menschen ausgesucht, die die Queer Community vertreten sollen? Konnten wirklich alle dabei sein, die wollten?
Die Behörde hat nach Vorgabe von Community-Vertreter:innen und der Initiativgruppe eine umfassende Liste sämtlicher Hamburger Organisationen, Gruppen und Vereinen erstellt. Insgesamt 60 wurden ermittelt, die angeschrieben wurden und um Entsendung von Personen gebeten wurden, die am Denk-Ort-Prozess mitwirken. So kam ein breites Spektrum aus der gesamten LSBTIQ+-Community zusammen. Allerdings ohne parteipolitischen Gruppen, damit der Denk-Ort nicht im Wahlkampf funktionalisiert wird.
Die Jury hatte die Luftschlange ausgezeichnet. Muss die Queer Community das nicht akzeptieren? In der Jury war doch der künstlerische Sachverstand versammelt.
Welcher künstlerische Entwurf am Denk-Ort realisiert wird, entscheidet die Behörde für Kultur und Medien. Die Behörde ist in ihrer Entscheidung nicht gebunden an die Empfehlung des Preisgerichtes. Bei der Realisierung können andere Entscheidungsgründe maßgeblich sein, als es für das Preisgericht war. In diesem Fall ist es der Behörde wichtig, dass die künstlerische Gestaltung des Ortes von der Community angenommen wird. Das ist natürlich sinnvoll, denn ohne der Akzeptanz macht die künstlerische Gestaltung des Denk-Ortes keinen Sinn.
Hätte die Beteiligung der Queer Community eine schlichte Anhörung sein müssen, ohne echten Einfluss auf die Entscheidung, was umgesetzt wird? Sie sind ja keine Fachpersonen für künstlerische Fragen.
Unberücksichtigt blieb das Preisgericht nicht, schließlich erhielt der Pavillon der Stimmen ebenfalls einen Preis, und die Entscheidung fiel nur zwischen den beiden Preisträgern der insgesamt 14 Entwürfe. Es geht bei der Gestaltung des Denk-Ortes nicht allein um Kunst. Der Denk-Ort soll Menschen mit Themen der sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt zusammenbringen. Er soll anregen, über Vorurteile und Ursachen von Hass nachzudenken und an das dadurch entstandene Leid von Betroffenen erinnern, sensibilisieren und Akzeptanz einfordern, das Streben nach Gleichberechtigung würdigen und aktuelle Themen in Bezug auf LSBTIQ+ aufgreifen. Es soll ein Ort für alle werden, auch für Versammlungen der LSBTIQ+-Community. Kurz gesagt: Wenn die LSBTIQ+-Community die künstlerische Gestaltung ablehnt, macht ein Denk-Ort keinen Sinn, weder für die Community, noch für Hamburg insgesamt.
Abgesehen vom formalen Vorgehen: Ist das nicht unfair gegenüber den Künstlerinnen, die den ersten Preis erhielten?
Das Preisgericht hat aus 14 bemerkenswerten Entwürfen zwei mit einem Preis ausgezeichnet, entscheidet aber nicht, welcher davon realisiert wird. Die Entscheidung der Behörde für Kultur und Medien ist an die Empfehlung des Preisgerichtes nicht gebunden. Es gibt keinen Anspruch der Künstlerinnen auf Realisierung ihres Entwurfes. Daher kann die Entscheidung für einen anderen Entwurf auch nicht als unfair gelten. Außerdem bleibt die Auszeichnung mit dem ersten Preis ja bestehen.
Es gewinnt nun ein sehr bekannter isländischer Künstler. Der erste Preis, die Luftschlange, ist aber ein Entwurf von Hamburger Künstlerinnen. Wäre das für ein lokales Kunstwerk nicht angemessener gewesen?
Der Denk-Ort für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt stellt keine Forderung an die Herkunft der Künstler:innen. Der künstlerische Wettbewerb wurde international ausgeschrieben. Die für den Wettbewerb zugelassenen Künstler:innen wurden mit überwiegender Stimmenzahl von der Kunstkommission ausgewählt. Wenn nur Hamburger Künstler:innen berücksichtigt werden sollten, hätte das bereits bei der Ausschreibung berücksichtigt werden müssen. Nicht angemessen wäre es daher, Entwürfe von Künstler:innen, die nicht aus Hamburg leben, im Nachhinein auszuschließen. Abgesehen davon ist entscheidend, welcher Entwurf überzeugt und auch von der Community gewollt wird.
Gibt es einen rechtlichen Anspruch, dass der erste Platz realisiert werden muss? - Wo ist festgelegt, dass die Behörde hier frei in ihrer Entscheidung ist?
Darauf gibt es keinen rechtlichen Anspruch. Das Preisgericht vergibt einen ersten, zweiten und dritten Platz (in diesem Fall wurden jedoch nur Platz 1 und 2 vergeben) und empfiehlt der Ausloberin des Wettbewerbs – also der Behörde – einen Entwurf zur Realisierung (in diesem Fall den erstplatzierten Entwurf). Die Ausloberin des Wettbewerbs kann jedoch entscheiden, einen anderen Entwurf zu realisieren, wenn es einen wichtigen Grund dafür gibt.
Ist es ungewöhnlich oder gar einmalig, dass der zweite Platz anstelle des ersten Platzes realisiert wird?
Das kommt bei städtischen Wettbewerben ab und zu mal vor.
Ist der Prozess für den Denk-Ort, bei dem eine zivilgesellschaftliche Gruppe (LSBTIQ+-Community) partizipativ eingebunden ist, außergewöhnlich und unterscheidet sich somit grundlegend von sonstigen Verfahren?
Der breite Beteiligungsprozess für den Denk-Ort ist für die Kulturbehörde eher eine Ausnahme (daneben wird noch das Projekt „Hamburg dekolonisieren!“ ebenfalls in einem partizipativen Prozess realisiert). Die Behörde hält den Beteiligungsprozess bei diesem Vorhaben für essentiell, da die Initiative für einen Denk-Ort aus der Community kam und so überhaupt erst an die Stadt herangetragen wurde. Das Ziel ist es, dass ein Ort für die gesamte Community entsteht. Die Community ist deshalb an allen wichtigen Entscheidungen bei der Realisierung des Denk-Ortes beteiligt. – Das spiegelt sich auch im Auslobungstext wider, z.B. in der Aufgabenstellung (3.1 und 3.2):
„Zugleich soll der Denk-Ort ein sichtbarer Raum für alle Personen der LSBTIQ+ Communitys sein; für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans*Personen, intergeschlechtliche und queere Menschen und weitere sexuelle und geschlechtliche Identitäten. Er soll zu Begegnung, Respekt und Akzeptanz einladen, sowie zum Nachdenken über die verschiedenen Lebensrealitäten anregen.“